Sendung „Mein (fast) perfektes Verbrechen“ vom 14. Juni 2018; S1

Schlussbericht der Ombudsstelle

Sehr geehrter Herr X

Ihre Beanstandung vom 14. Juni 2018 habe ich erhalten und am 15. Juni 2018 die Chefredaktion von S1 zur Stellungnahme aufgefordert. Mit Schreiben vom 3. Juli 2018 ist die Stellungnahme bei mir eingetroffen.

Ich habe mir den beanstandeten Beitrag eingehend und in voller Länge angesehen, die Stellungnahme des Veranstalters gelesen und mir meine Gedanken gemacht. Ich kann Ihnen daher meinen Schlussbericht zukommen lassen.

Nach Art. 93 des Bundesgesetzes über Radio und Fernsehen (RTVG) prüft die Ombudsstelle die Angelegenheit und vermittelt zwischen den Beteiligten. Sie kann insbesondere die Angelegenheit mit dem Veranstalter besprechen, oder ihm in leichten Fällen zur direkten Erledigung überweisen. Sie kann auch für eine direkte Begegnung zwischen den Beteiligten sorgen, Empfehlungen an den Programmveranstalter abgeben oder die Beteiligten über die Zuständigkeiten, das massgebende Recht und den Rechtsweg orientieren. Nach Art. 93 Abs. 2 RTVG hat die Ombudsstelle keine Entscheidungs- oder Weisungsbefugnis.

Beanstandung

„Ich zappte auf S1 TV und sah in die Sendung „Mein (fast) perfektes Verbrechen“ hinein und finde diese Art der gezeigten Gewalt eine verantwortungslose Zumutung (...). Es stumpft enorm ab und das wirkt sich auf andere Bereiche im realen Leben aus. Der EQ sinkt.

Art. 5 besagt, die Sender hätten durch die Wahl der Sendezeit die Jugendlichen zu schützen. Hierzu bemerke ich, dass Jugendliche Zugriff aus Smartphones haben und mit Angabe eines falschen Alters von ihrem unbeaufsichtigten Schlafzimmer aus Zugriff zu sie schädigenden Sendungen haben. Zielt der Artikel auf 100% Jugendschutz ab? Falls nicht, würden Beschwerden mit Begründung des Restrisikos wirkungslos. Im weiteren ist nicht gegeben, dass Erwachsene den Einfluss von Sendungen auf ihre Psyche einzuschätzen vermögen. Demnach gälte es auch Erwachsene zu schützen, was gewiss ganz heftig diskutiert würde. Art. 4 Abs. 1: Alle Sendungen eines Radio- oder Fernsehprogramms müssen die Grundrechte beachten. Die Sendungen haben insbesondere die Menschenwürde zu achten, dürfen weder die öffentliche Sittlichkeit gefährden noch Gewalt verherrlichen oder verharmlosen. Mein Empfinden zur Sendung auf S1 TV „Mein (fast) perfektes Verbrechen“ schilderte ich bereits (...). Störend waren mindestens die harten Schläge, Würgen bis zum Tode und das Lächeln des realen Mörders während seinen Erzählungen (...). Eventuell verletzt der Sender und die Sendung Art. 6 und 7 der Bundesverfassung. Eventuell formen beide eine Gesellschaft, welche durch Einhaltung von Art. 4 Abs. 3 längerfristig die innere Sicherheit gefährden(...).“

Stellungnahme Veranstalter

„Bei der beanstandeten Sendung handelt es sich um eine Folge der Doku-Serie «Mein (fast) perfektes Verbrechen». Diese Serie rekonstruiert echte Kriminalfälle, in denen die Täter jeweils fast der Verfolgung durch die Justiz entkommen konnten. Es ist eine amerikanische Produktion mit dem Originaltitel «I Almost Got Away With It». Bisher wurden von dieser Doku-Serie 91 Folgen in 8 Staffeln produziert. Die Serie lässt sich dem Genre «True Crime» zuordnen, behandelt also echte Kriminalfälle und hat dokumentarischen Charakter. Konkret beanstandet wurde Folge 9 der 5. Staffel aus dem Jahre 2012. In der deutschen Synchronfassung wurde diese Sendung mit dem Episodentitel «Bindungsängste» erstmals im Juni 2015 auf dem Sender TLC ausgestrahlt. S1 hat diese Sendung am 13. Juni 2018 um 23.50 Uhr ausgestrahlt. Inhaltlich schildert die Sendung einen Kriminalfall aus dem Jahr 1993, der sich im US-Bundesstaat Montana zutrug. Bei diesem Verbrechen erwürgte der Täter seine Verlobte und deren Baby. Um seine Tat zu vertuschen, beseitigte er alle Spuren und gab bei der Polizei eine Vermisst-Anzeige für die beiden auf. Verhaftet und verurteilt wurde der Täter aufgrund eines Checkbetrugs, der Mord blieb zunächst unentdeckt. Erst nach einiger Zeit im Gefängnis legte der Täter ein Geständnis für die Morde ab, worauf er eine lebenslange Strafe erhielt. Es handelt sich bei der Sendung um eine dokumentarische Produktion. Die Geschichte des Verbrechens wird durch einen Sprecher nacherzählt bzw. mit Schauspielern nachgestellt. Zudem werden der Täter selbst und weitere Betroffene interviewt. Das sind in der Regel Angehörige und Verwandte des Täters oder der Opfer, Ermittler oder Staatsanwälte, Polizisten, Psychologen oder Journalisten, die über das Verbrechen geschrieben hatten. Sie alle erzählen aus ihren Erinnerungen an die Tat und/oder ihre damit verbundene Arbeit.

Beanstandet wurde die Darstellung von Gewalt in der Sendung. Dazu ist festzuhalten, dass eine Dokumentation über ein Gewaltverbrechen leider naturgemäss zumindest andeutungsweise die ausgeübte Gewalt bzw. die begangene Tat auf irgendeine Art und Weise zeigen muss. Im vorliegenden Fall hat der Täter seine Opfer erwürgt. Es wurden keine Schuss- oder Stichwaffen eingesetzt, es ist kein Blut zu sehen. Unseres Erachtens wird Gewalt in dieser Sendung nur zurückhaltend dargestellt. Auch die Produzenten haben sich in begrüssungswerter Weise in Zurückhaltung geübt, so dass auf die Darstellung der Tat am Baby verzichtet wurde. Die Darstellung der eigentlichen Gewalttat ist in der 45-minütigen Sendung nur während rund 1 Minute zu sehen und nimmt also nur einen geringen Teil der Sendezeit ein.

Dass die Szenen durch Schauspieler nachgestellt sind, ist für den Zuschauer zudem gut zu erkennen. Es wird durch eine grafische Einblendung mehrmals kommuniziert, dass es sich um nachgestellte Szenen handelt. Selbstverständlich sind wir uns bewusst, dass sich ein Teil der Zuschauer durch die Darstellung solcher Szenen gestört fühlen kann. Sollten bei gewissen Zuschauern durch diese Serie Gefühle verletzt worden sein, so bedauern wir dies sehr. Jedoch können wir aufgrund des geschilderten Sachverhalts weder einen Verstoss gegen Art. 4 noch Art. 5 RTVG erkennen.“

Bemerkungen des Ombudsmanns

In der Doku-Serie werden echte Kriminalfälle rekonstruiert, in denen die Täter jeweils fast der Verfolgung durch die Justiz entkommen konnten. Die von Ihnen beanstandete Sendung wurde am 13. Juni 2018 um 23:50 Uhr ausgestrahlt. Gleich zu Beginn der Sendung wird das Verbrechen filmisch nachgestellt. Gezeigt wird, wie der Täter seine Verlobte erwürgt. Dass er auch das Baby tötete, wurde nicht explizit gezeigt, wohl aber durch Baby-Schreie im Hintergrund kurz angedeutet, ansonsten aber nur durch den Off-Sprecher nacherzählt. Die Darstellung des Verbrechens zu Beginn der Sendung dauert etwa rund eine Minute. Detailliert gezeigt wird, wie der Täter seine Verlobte mit einem Kabel auf dem Bett erwürgt. Gezeigt wird das angst erfüllte Gesicht der Frau. Bilder, welche die letzten Sekunden ihres Lebens wie auch die Leiche zeigen würden, erscheinen nur sehr kurz. In der Folge wird aufgezeigt, wie der Täter die Leichen verschwinden liess und versuchte, seine Tat gegenüber den Behörden, der Familie und weiteren Personen zu vertuschen. Neben der filmischen Nachstellung einzelner Szenen wird immer wieder auch der Täter im Gefängnis eingeblendet, der seine Geschichte nacherzählt. So kommt es auch dazu, dass die gleich zu Beginn gezeigten Gewaltszenen immer wieder mal kurz eingeblendet werden. Diese Einblendungen sind so kurz gehalten, dass kaum Details ersichtlich sind. Die Zuschauerin und der Zuschauer können sich aber jeweils an die zu Beginn der Sendung ausgestrahlte Gewaltszenen erinnern.

Ich kann Ihre emotionale Reaktion auf die gezeigte Gewaltszenen nachvollziehen. Es ist auch durchaus möglich, dass Kinder und Jugendliche durch einen hohen Konsum von Mediengewalt abstumpfen. Zuschauer können sich mit dem in den Medien gezeigten Modell identifizieren, wenn die Darstellung realistische Züge aufzeigt, die Gewalt zur Problemlösung beiträgt oder als gerechtfertigt dargestellt wird. Für die Zuschauerin und den Zuschauer war meines Erachtens klar, dass es sich bei der beanstandeten Sendung zu Beginn um eine fiktive Gewaltszene handelte, auch wenn eine reale Geschichte erzählt wurde. Bei der filmischen Darstellung war auch immer der Erzähler im Hintergrund zu hören. Unterbrochen wurde die Szene mehrere Male mit Ausschnitten aus dem Interview des Täters. Aus meiner Sicht wurde vorliegend nicht die Gewalt verharmlost oder übermässig gezeigt. Natürlich kann man sich fragen, ob nicht auch eine mildere Darstellung hätte gewählt werden können. Insgesamt komme ich aber zum Schluss, dass die gezeigten Szenen keine Verherrlichung von Gewalt enthalten und somit auch nicht den Programmgrundsätzen nach Art. 4 RTVG widersprechen.

In Ihrer Eingabe weisen Sie darauf hin, dass die Sendung zu jeder Zeit von Jugendlichen und Kindern auch über das Smartphone abgerufen werden könne. Insofern spielt der Sendezeitpunkt, 23:50 Uhr, nicht mehr eine so grosse Rolle. Gemäss Art. 5 RTVG haben Programmveranstalter durch die Wahl der Sendezeit oder sonstige Massnahmen dafür zu sorgen, dass Minderjährige nicht mit Sendungen konfrontiert werden, welche ihre körperliche, geistig-seelische, sittliche oder soziale Entwicklung gefährden. Der Ausstrahlungszeitpunkt war sicher korrekt. Man kann sich jedoch fragen, ob nicht auch eine entsprechende Kennzeichnung während der Ausstrahlung des Filmes hätte gezeigt werden müssen. Gemäss Art. 4 RTVV haben Veranstalter von frei empfangbaren Fernsehprogrammen jugendgefährdende Sendungen akustisch anzukündigen oder während ihrer gesamten Sendedauer mit optischen Mitteln zu kennzeichnen. Aus rundfunkrechtlicher Sicht genügt es meines Erachtens, dass der Auszahlungszeitpunkt bewusst sehr spät, um 23:50 Uhr, gewählt wurde. Eine zusätzliche Kennzeichnung war meines Erachtens nicht notwendig, zumal die gezeigten Gewaltszenen im Rahmen der fiktionalen Gewaltdarstellungen in Kriminalspielfilmen entspricht, die bereits zu früheren Zeitpunkten ohne Kennzeichnung ausgestrahlt werden. Diese Entwicklung mag man bedauern.

Hinzuweisen, bleibt noch, dass das soeben in die Vernehmlassung geschickte neue Gesetz über die elektronischen Medien vorsieht, dass jugendgefährdende Inhalte, die als elektronische Medien online abrufbar sind (also nicht linear wie das Fernsehen zu einem bestimmten Zeitpunkt ausgestrahlt werden), mit einer entsprechenden Kennzeichnung versehen werden müssen. Insofern sollte künftig Ihrem berechtigten Anliegen, dass Jugendliche zeitversetzt Medieninhalte konsumieren und geschützt werden sollten, Rechnung getragen werden.

Ich bitte Sie, das vorliegende Schreiben als meinen Schlussbericht gemäss Art. 93 Abs. 3 RTVG entgegenzunehmen. Über die Möglichkeit der Beschwerde an die unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen UBI orientiert Sie das beigefügte Merkblatt.

Mit freundlichen Grüssen

Dr. Oliver Sidler, Ombudsmann