Beanstadung der Sendung „Stooszyt: 3FACH schläckt sich durch Luzern“ vom 4. März 2020 - Radio 3FACH
Schlussbericht des Ombudsmanns
Sehr geehrter Herr X
Ihre Beanstandung vom 9. März 2020 habe ich erhalten und die Programmleitung von Radio 3FACH zur Stellungnahme aufgefordert. Mit Schreiben vom 17. März 2020 ist die Stellungnahme bei mir eingetroffen.
Ich habe mir den beanstandeten Beitrag eingehend und in voller Länge angesehen, die Stellungnahme des Veranstalters gelesen und mir meine Gedanken gemacht. Ich kann Ihnen daher meinen Schlussbericht zukommen lassen.
Nach Art. 93 des Bundesgesetzes über Radio und Fernsehen (RTVG) prüft die Ombudsstelle die Angelegenheit und vermittelt zwischen den Beteiligten. Sie kann insbesondere die Angelegenheit mit dem Veranstalter besprechen, oder ihm in leichten Fällen zur direkten Erledigung überweisen. Sie kann auch für eine direkte Begegnung zwischen den Beteiligten sorgen, Empfehlungen an den Programmveranstalter abgeben oder die Beteiligten über die Zuständigkeiten, das maßgebende Recht und den Rechtsweg orientieren. Nach Art. 93 Abs. 2 RTVG hat die Ombudsstelle keine Entscheidungs- oder Weisungsbefugnis.
Beanstandung 1
„Das Coronavirus hält aktuell die Welt in Atem. In unserem südlichen Nachbarland steigt die Zahl der Toten, unsere Wirtschaft stottert. Das Coronavirus hat bisher viel Leid und viele schwere Momente für die erkrankten Leute und deren Angehörigen verursacht.
Ich habe selber eine 77-jährige Großmutter, die gesundheitlich aktuell angeschlagen ist und aufgrund diverser Behandlungen über ein geschwächtes Immunsystem verfügt. Ich mache mir gewisse Sorgen, dass sollte sie am Coronavirus erkranken, es nicht überleben könnte.
Was das Radio 3Fach in diesem Beitrag ausstrahlt ist für mich ein Schlag ins Gesicht. Es ist aus meiner Sicht auch ein Schlag ins Gesicht derjenigen, die infiziert sind, aktuell in Quarantäne sind, oder Freunde und Bekannte haben, die unter den Folgen des Coronavirus leiden. Es ist für mich in keiner Weise entschuldbar, wie in diesem Beitrag mit diesem globalen Problem umgegangen wird. Aus meiner Sicht der negative Höhepunkt ist die Aussage, „in der Hoffnung dass sie krank wird und wir alle in die Quarantäne kommen um zu chillen“.
All unsere Angestellten des BAG sowie unser Bundesrat Alain Berset haben wohl aktuell schlaflose oder kurze Nächte und wissen bald nicht mehr was noch getan werden könnte um die Bevölkerung, insbesondere die Risikogruppen zu schützen. Nun kommt Radio 3Fach und macht sich aus meiner Sicht mit diesem Beitrag auch über diese Personen lustig, die täglich alles Mögliche machen um uns zu schützen.
Des Weiteren sind das Zielpublikum dieses Radios u.A. Jugendliche und junge Erwachsene. V.a. ggü. den jugendlichen Zuhörern, ist der Sender meines Erachtens verpflichtet ein Vorbild zu sein. Wer wäre nun verantwortlich, wenn ein Jugendlicher aufgrund dieses Beitrags etwas davon nachmacht uns sich effektiv ansteckt? So stellt dieser Jugendliche eine potentielle Gefahr für sein Umfeld dar. Ohne hier eine Fantasiegeschichte aufzuschreiben, finde ich, dass dieser Beitrag auch die Jugendschutzpflicht des Senders verletzt. So ein Beitrag ist aus meiner Sicht genau so jugendschutzverletzend wie Gewaltverherrlichung oder politische Hetze.
Ich bitte Sie, diesen Sachverhalt und diesen Beitrag eingehend zu prüfen und nötigenfalls geeignete Massnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, dass mit solch sensiblen Themen künftig nicht einfach so gescherzt werden darf und die Würde von infizierten, schutzbedürftigen oder gefährdeten Personen gewahrt wird.“
Beanstandung 2
„Via dem Bericht auf der Seite: ttps://www.blick.ch/news/schweiz/zentralschweiz/video-von-luzerner-radio-zeigt-gruesel-aktion-radiomoderatorin-leckt-haende-und-touchscreens-ab-id15780868.html bin ich auf folgende Ausstrahlung des Radio 3Fach aufmerksam geworden: https://soundcloud.com/radio3fach/stooszyt-3fach-schlackt-sich-durch-luzern Aktuell ist die ganze Welt im Bann des Corona Virus, staatliche Institutionen versuchen das Besten um die rasante Ausbreitung zu stoppen. Die Angestellten im Gesundheitswesen müssen unzählige Überstunden leisten. Familien müssen Abschied nehmen von Ihren Liebsten die durch den Corona Virus Ihre Angehörigen zu Grabe tragen mussten. Angestellte verlieren Ihren Job Aufgrund geringer Nachfrage oder ausgesprochenen Verboten.
Die ausgestrahlte Sendung des Radio 3Fach tritt all die Probleme die mit dem Virus verbunden sind mit Füssen – mit Humor hat dies absolut nichts zu tun. Die Zielgruppe des Radios sind 15 – 25 jährige. Entsprechend hoch müsste die Vorbildfunktion dieser Moderatoren/Sendeverantwortlichen sein. Denn Zuhörer/Zuseher könnten sich dazu verleiten lassen dies auch zu tun. Ebenso ist das Verhalten eine absolut abschätzende Geste für die Personen die betroffen sind (Erkrankte, Familienangehörige, Personen aus dem Gesundheitswesen etc.) Ich bitte Sie das Radio auf Ihre Pflicht aufmerksam zu machen, dass Sie als Vorbilder zu funktionieren haben und nicht Zuhörer zu solchen Aktionen verleiten sollen. Es bleibt mir nur ein ungläubiges Kopfschütteln.“
Stellungnahme Veranstalter
„Der Beitrag, welcher am 04. März 2020 gesendet wurde, hatte zum Ziel, über eine vorhergehende Videoberichterstattung von Radio 3FACH zum Thema Coronavirus zu berichten. Das erwähnte Video, welches, wie zu Beginn des beanstandeten Berichtes erwähnt wird, «für Kontroversen gesorgt» hat, wird im beanstandeten Beitrag relativiert und es wird über dessen Auswirkungen und Hintergründe berichtet. Um dieses Ziel zu erreichen, wird der Inhalt des Videobeitrags erklärt, reflektiert und schliesslich das Medienecho, welches das Video auslöste, analysiert.
Der Beitrag setzt sich insofern nicht direkt mit dem sich stets ausbreitenden Coronavirus auseinander, sondern mit dem über 3FACH publizierten Videobericht.
Zu keinem Zeitpunkt zielte der Beitrag darauf ab, Betroffene des Coronavirus – unabhängig davon, ob sich diese Betroffenheit in Krankheit, Todesfällen, wirtschaftlichen Einbussen, oder in anderer Weise äussert – zu verletzen oder in Gefahr zu bringen. Dies wird im Beitrag ausdrücklich erwähnt: «Natürlich, […], hatten wir nie vor, Lea [Inderbitzin], unsere anderen 3Fächler[*innen], vor allem aber die Risikogruppe, also vor allem alte oder bereits kranke Menschen, mit dieser Aktion in Gefahr zu bringen». Eine solche Gefahr wurde durch das vorhergehende sowie nachfolgende und im Beitrag öffentlich deklarierte Desinfizieren der abgeleckten Stellen ausgeschlossen. Zusammenhängend damit weist 3FACH den Vorwurf von sich, gegen RTVG Art. 5 verstossen zu haben: Der Gefährdung Minderjähriger wurde mittels der Massnahme der mehrmaligen Erwähnung der vorhergehenden und nachfolgenden Desinfektion entgegengewirkt. Weder werden Jugendliche durch den Beitrag dazu aufgefordert, öffentliche Stellen abzulecken, noch ist der Ton, in welchem die Moderatorin über die im Video ersichtlichen Taten berichtet, dazu anstiftend oder verherrlichend. Insbesondere der Vorwurf, dass der Beitrag die Jugendschutzpflicht verletzt, weist Radio 3FACH deshalb zurück.
Weiter wird erwähnt, dass Radio 3FACH die Thematik Coronavirus im Vorfeld der beanstandeten Sendung mehrmals in seriösen und ernst zu nehmenden Berichten aufgegriffen und behandelt hat: «[W]ir [haben] in den letzten paar Wochen auch ernsthafte und informative Berichterstattungen zum Thema [Coronavirus] geboten». Die im Video auf satirische Weise umgesetzte Berichterstattung ist aus Sicht von Radio 3FACH als komplementäre Behandlung der Thematik anzusehen und zielte nicht darauf ab, sich über die sehr ernsthafte Thematik lustig zu machen, sondern hatte zum Ziel, die mit dem Virus verbundene Panik der Bevölkerung zu hinterfragen. Die Aussage, dass der thematisierte Videobericht "in der Hoffnung [entstand], dass [Lea] krank wird und wir alle in Quarantäne kommen, um zu chillen», ist entsprechend nicht ernst gemeint und zielt, wie weiter oben bereits ausgeführt, nicht darauf ab, sich über Betroffene lustig zu machen oder jegliche Personen in Gefahr zu bringen. Dass das formulierte Ziel keineswegs in Realität angestrebt wurde, sollte durch unterschiedliche, im Beitrag wie auch in der vorliegenden Stellungnahme mehrmals ausgeführte Deklarationen klar werden.
Diese Tatsache – dass es sich beim Video, welcher in der beanstandeten Sendung thematisiert, aufgegriffen und teilweise wiedergegeben wird, um einen nicht ernst zu nehmenden Beitrag handelt – wird gleich zu Beginn des beanstandeten Beitrags deklariert. Mehrmals wird erwähnt, dass Radio 3FACH das Video nicht ernst meint und «schwarzer Humor» dahinter steckt.
Auf Grund der diversen, sich nicht ausschliesslich im beanstandeten Beitrag erschliessenden Berichterstattung zum Thema des Coronavirus sowie der mehrmaligen Deklaration der sich von faktischen Berichten abhebenden Art der Berichterstattung und dem weiter deklarierten risikominimierenden Vorgehen, erachtet Radio 3FACH seinen Leistungsauftrag «seinen Schwerpunkt bei der Jugendkultur [zu setzen] und deren Vielfalt [abzubilden]» sowie «ein Programm [zu veranstalten], das sich […] von den Programmen der kommerziellen Anbieter des gleichen Versorgungsgebiets unterscheidet» als erfüllt und die journalistische Sorgfalt als gewährleistet.
Radio 3FACH ist sich bewusst, dass der Kontext der Thematik, die Betroffenheit und die daraus entspringende Emotionalität deutlich unterschätzt wurden.“
Einschätzung des Ombudsmanns
Der Sender Radio 3FACH ist als Jugendradio positioniert und ist gemäss Angaben auf der Webseite (http://3fach.ch/info#uber-uns) „das führende, nicht kommerzorientierte Kulturradio für alle jungen und junggebliebenen Menschen der Deutschschweiz“. Der von Ihnen beanstandete Beitrag wurde von Radio 3FACH am 4. März 2020 im Rahmen der Sendung „Stooszyt“ ausgestrahlt. Die Sendung bietet gemäss eigenen Angaben Informationen zu Kultur, Politik, Informationen über die Region Luzern und „was im Ausgang“ läuft.
Im konkret von Ihnen beanstandeten Beitrag werden zunächst im Rahmen einer Einführung ein paar Erläuterungen zur Situation der aktuellen Pandemie abgegeben (Entstehungszeitpunkt, Zahlen zu infizierten und verstorbenen Personen, etc.). In einem zweiten Teil wird auf ein von Radio 3FACH auf YouTube und eingebettet auf ihrer eigenen Webseite gezeigtes Video „How to get Corona - ein Tutorial von Lena“ eingegangen, dessen Inhalt erklärt und mit einigen Tonausschnitten aus dem Video untermalt. Das Video sei veröffentlicht worden, da neben Ernsthaftem auch mal Spass gelten soll. Ausgangspunkt bildete ein Videobeitrag mit der Moderatorin des Swiss Music Awards, Hazel Brugger, und einer 3-Fach-Reporterin, aufgenommen an den Swiss Music Awards vom 28. Februar 2020, als die Reporterin die Hand von Hazel Brugger abschleckte, um zu erfahren, ob sie so den Coronavirus erhalte. Auf dieser Basis habe man sich dann entschlossen, die Reporterin an weitere Orte in der Stadt Luzern zu schicken, um verschiedene Objekte abzulecken (Touchscreen für Busbillette, Halteknopf im Bus, etc.). Zu diesem Video wird erklärt, dass die Stellen, welche die Reporterin ableckte, jeweils zuvor ausführlich desinfiziert worden seien. Schliesslich hätte man ja nicht die Reporterin in Gefahr bringen wollen. Es sei auch nie die Absicht gewesen, die Reporterin selber oder andere Personen des Teams von Radio 3FACH oder gar Risikogruppen wie kranke oder alte Leute in Gefahr zu bringen. In einem letzten Teil des Beitrags werden ein paar Ausschnitte aus den Kommentaren und Rückmeldungen zum Video aufgezeigt, welche in den Medien erwähnt oder Radio 3FACH direkt erhalten hat.
Das auf YouTube wie auch auf der Webseite des Veranstalters abrufbare Video ist nicht Gegenstand des vorliegenden programmrechtlichen Verfahrens. Gemäss Artikel 91 RTVG darf die Ombudsstelle nur ausgestrahlte redaktionelle Radio- oder Fernsehsendungen privater schweizerischer Programmveranstalter beurteilen. Das YouTube-Video stellt keine Fernsehsendung im Sinne des Radio- und Fernsehgesetzes dar. Meine Beurteilung hat sich demnach auf den von Radio 3FACH ausgestrahlten Radiobeitrag vom 4. März 2020 zu beschränken. Ich möchte es jedoch nicht unterlassen, darauf hinzuweisen, dass ich das von Radio 3FACH produzierte Video „How to get Corona - ein Tutorial von Lena“ als geschmacklos und deplatziert erachte. Es gibt sicherlich andere Möglichkeiten, die Corona-Pandemie mit einem Augenzwinkern auch von der satirischen Seite aus zu betrachten. Eine Anleitung zur Ansteckung mit dem Virus, auch wenn sie provokativ und nicht ernst gemeint war, sprengt meines Erachtens den weiten Rahmen der Gestaltungsmöglichkeiten satirischer Beiträge. Ein Hinweis auf die vorgängig desinfizierten Flächen, die abgeschleckt wurden, fehlte gänzlich.
Den von Ihnen beanstandeten Radiobeitrag betrachte ich aber als weniger problematisch. Auch wenn einige Szenen aus dem Video im Originalton wiedergegeben und die Handlungen im Video beschrieben werden, gibt die Moderatorin eine Einordnung in den Gesamtkontext und legt insbesondere offen, dass die von der Reporterin abgeleckten Flächen vorgängig desinfiziert wurden. Zudem wird klar darauf hingewiesen, dass es nie die Absicht gewesen sei, die Mitarbeitenden von Radio 3FACH oder Risikogruppen mit dieser Aktion in Gefahr zu bringen. Es ging um Provokation, wie auch die Reporterin im Video selber sagte.
Nicht ganz nachvollziehbar ist für mich aber, wie die Redaktion mit den Reaktionen auf das Video umgegangen ist. Im von Ihnen beanstandeten Radiobeitrag wird von einem Shitstorm gesprochen, der stinke und es werden Wutbürger erwähnt, welche sich zum Video öffentlich (in den Medien und sozialen Medien) äusserten. Lächerlich wurden diejenigen Personen dargestellt, welche sich in diesem Sinne äussersten oder gar mit rechtlichen Konsequenzen drohten. Der Veranstalter hat es versäumt, die doch recht heftigen und teilweise auch berechtigten Reaktionen auf das Video zu analysieren und ihre eigenen Handlungen zu hinterfragen. Im Gegenteil: es wurde das Schweizer Volk infrage gestellt und gefragt, was man von dem denn noch erwarten könne. Mir fehlte die journalistisch korrekte Auseinandersetzung mit der heftigen Kritik auf das Video und auch eine adäquate Reaktion der Programmmacher auf die heftige Kritik. Eine Entschuldigung zur gesendeten Provokation wie auch eine Entschuldigung gegenüber den bereits Erkrankten, dem Pflegepersonal und vielen weiteren Personen, die gegen die Pandemie ankämpfen, wäre an dieser Stelle angebracht gewesen.
In diesem Sinne empfehle ich der Programmleitung von Radio 3FACH, den beanstandeten Radiobeitrag nochmals eingehend mit ihren Mitarbeitenden zur künftigen Qualitätsverbesserung zu analysieren und zu besprechen.
Ich bitte Sie, das vorliegende Schreiben als meinen Schlussbericht gemäss Art. 93 Abs. 3 RTVG entgegenzunehmen. Über die Möglichkeit der Beschwerde an die unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen UBI orientiert Sie das beigefügte Merkblatt.
Mit freundlichen Grüssen
Dr. Oliver Sidler Ombudsmann