Tele M1 - Aktuell vom 21. Februar 2024

Beanstandung der Sendung Aktuell vom 21. Februar 2024 - Tele M1

Schlussbericht des Ombudsmanns

Sehr geehrter Herr X

Ihre Beanstandung vom 26. Februar 2024 habe ich erhalten und am 29. Februar 2024 die Chefredaktion von Tele M1 zur Stellungnahme aufgefordert. Mit Schreiben vom 8. März 2024 ist die Stellungnahme bei mir eingetroffen.

Ich habe mir den beanstandeten Beitrag eingehend und in voller Länge angesehen, die Stellungnahme des Veranstalters gelesen und mir meine Gedanken gemacht. Ich kann Ihnen daher meinen Schlussbericht zukommen lassen.

Nach Art. 93 des Bundesgesetzes über Radio und Fernsehen (RTVG) prüft die Ombudsstelle die Angelegenheit und vermittelt zwischen den Beteiligten. Sie kann insbesondere die Angelegenheit mit dem Veranstalter besprechen, oder ihm in leichten Fällen zur direkten Erledigung überweisen. Sie kann auch für eine direkte Begegnung zwischen den Beteiligten sorgen, Empfehlungen an den Programmveranstalter abgeben oder die Beteiligten über die Zuständigkeiten, das massgebende Recht und den Rechtsweg orientieren. Nach Art. 93 Abs. 2 RTVG hat die Ombudsstelle keine Entscheidungs- oder Weisungsbefugnis.

1. Beanstandung

«Enttäuschung und Irritation - so lässt sich meine Reaktion nach der Visionierung Ihres Beitrags auf Tele M1 vom 21.2.2024 zur kommunalen Volksabstimmung über die Spezialzone Berg in Wettingen zusammenfassen.

Da ich aus gesundheitlichen Gründen (Bandscheibenvorfall) leider verhindert war, selber wie geplant als Mitglied des Nein-Komitees vor die Kamera zu treten, hat dies für mich freundlicherweise Manuela Ernst, Einwohner- und Grossrätin GLP übernommen. In der Vorbesprechung wurde mir gesagt, die Redaktion wolle alle Seiten zu Wort kommen lassen, was ich gut fand, da ein Bericht ausgewogen beide Seiten darstellen sollte.

Herausgekommen ist leider ein propagandistisches Machwerk, in dem die eine Seite während 2 bildstarken Minuten ihre Sicht der Dinge darstellen konnte, mit dem zusätzlichen Jöö-Effekt von Streicheltieren und untermauert mit dem tragischen Schicksal eines körperlich beeinträchtigen Jungen, der auf die Tiertherapie, wie sie von der Familie B. angeboten wird, offenbar sehr gut anspricht - argumentativ vertreten durch seine Mutter. Die Gegenseite wurde mit einem Kürzeststatement von rund 10 Sekunden abgehandelt, wobei der Wortführenden die Argumentation mitten im Satz herausgeschnitten wurde. Was ich herausgehört habe war "nicht gut weil schlecht für Biodiversität und Präzedenzfall". Den journalistischen Grundsatz des "best argument" konnte ich dabei nicht erkennen.

Auf einen unbedarften Zuseher dürfte das Ganze den Eindruck gemacht haben, als ob eine gute Sache - von tollen, altruistisch handelnden Menschen geplant - von kaltherzigen Miesepetern aus unverständlichen Gründen zunichte gemacht werden soll. Diese Wahrnehmung wird verstärkt durch die Anmoderation in der der sympathisch präsentierte Luz B. (Typ "Alpöhi") wie folgt charakterisiert wird: "Familie B. hatte nur gute Absichten" und "sie kämpfe um ihre Existenz".

Kein Wort im Beitrag davon, dass

  • die Opposition gegen das Projekt breit abgestützt ist von Naturschutzverbänden, Naturschützern, Anwohnern, weiteren engagierten Privatpersonen sowie polit. Parteien von Grün über GLP bis SVP
  • die so sympathisch geschilderte Familie B. am Standort seit bald 30 Jahren einen in einer Schutzzone illegal (= ohne Baubewilligung) erstellten Sandplatz betreibt, den sie seit 2010 zurückbauen müsste und es bis heute nicht gemacht hat.
  • dass Familie B., wie der Beantwortung einer Interpellation der Wettinger Grossräte Manuela Ernst und Daniel Notter durch den Kanton Aargau (14.2.2024) zu entnehmen ist, auf dem betreffenden Areal weitere Bauten illegal erstellt hat; diese illegalen Bauten sollen durch die Spezialzone Berg nachträglich legalisiert werden
  • ein klassischer Fall von Vetterliwirtschaft vorliegt: Der Sohn des Gesuchstellers (Sandro B.) und der Bruder des im neuen Projekt federführenden Architekten (Martin Egloff) sitzen beide im Gemeinderat Wettingen, der das Projekt nach Kräften fördert und unterstützt.
  • die Familie B. handfeste finanzielle Vorteile daraus zieht, dass die von der Gemeinde Wettingen betriebene HPS therapeutische Reitlektionen bei der Familie B. bezieht, die der Sohn der Familie B. als ressortverantwortlicher Gemeinderat bewilligt.
  • die Gemeinde Wettingen bei Baueingaben den Ruf geniesst, korinthenkackerisch genau hinzuschauen (Beispiele: verweigertes Baugesuch des Tennisclub Wettingen, wegen Details verweigerte Einbauten von Wärmepumpen) und in diesem Fall, wo ein Gemeinderat ein persönliches Interesse hat, eine neue Spezialzone geschaffen wird, um Illegales in die Legalität zurückzuführen. Das nennt man meiner bescheidenen Meinung nach fehlende Rechtsgleichheit.
  • sich niemand gegen das therapeutische Angebot der Familie stellt, dass dieses problemlos weiterbetrieben werden könnte, dass es dafür alternative Standorte gibt, die ihre Bereitschaft signalisiert haben, dass Familie B. aber diese alternativen Standorte nicht will.
  • der Kanton Aargau die Gemeinde Wettingen zurückgepfiffen hat, weil sie am 1. Abstimmungstermin im November 2023 mit Winkelzügen versucht hat, die Argumente der Nein-Seite möglichst unter den Tisch zu wischen. Dies führte zu mehreren Aufsichtsbeschwerden beim Kanton, worauf die Gemeinde die 1. Abstimmung absagen musste, obwohl die Unterlagen bereits zugestellt waren.

Sehr geehrte Damen und Herren der Redaktion von Tele M1: Es ist nicht so, dass Sie auf diese Informationen nicht Zugriff hätten haben können. Auch wurde von Manuela Ernst im Gespräch vor den Videoaufnahmen auf diese Informationen hingewiesen. Dennoch kein Wort davon in Ihrem Beitrag. Daraus muss ich den Schluss ziehen, dass Sie diese Fakten bewusst nicht darstellen wollten. Das ist m.E. ein journalistisch nicht korrektes Vorgehen. Aus diesem Grunde kopiere ich den Ombudsmann von CH Media, Herrn Hans Fahrländer, in meine E-Mail mit ein. Ich gelange in dieser Sache an ihn, mit der Bitte, sich dieses journalistischen Beitrags anzunehmen.“

2. Stellungnahme Veranstalter

„Herzlichen Dank für Ihr Schreiben betreffend der Beschwerde im Zusammenhang mit der Tele M1- Berichterstattung vom 21. Februar 2024. Gerne nehme ich als Chefredaktor von Tele M1 dazu Stellung.

Wir können nachvollziehen, dass der Beschwerdegegner den Eindruck hat, der Beitrag sei nicht ausgewogen, weil die Gegenseite mehr Redezeit erhielt.

Hierbei muss jedoch beachtet werden, dass wir unseren nicht mit der Thematik vertrauten Zuschauern, welche den überwiegenden Grossteil darstellen, zuerst erklären müssen, was die Funktion des betreffenden Hofs ist. Die beiden Interviewausschnitte mit der «Kundin» Claudia Sandmeier dienen genau diesem Zweck. Sie sind für sich genommen kein Votum für oder gegen die Umzonung, sondern entsprechenden Angeboten.

Der erste Interviewausschnitt des Hofbetreibers Luz B. veranschaulicht lediglich den Umfang der geplanten Umsiedelung und stellt ebenfalls kein Argument für die zu schaffende Spezialzone dar. Für bzw. gegen diese Umzonung gibt es schlussendlich nur zwei Interviewpassagen, je eine der Befürworter und der Gegnerseite.

Zudem liefert der Betragskommentar zusätzliche Gegenargumente, die die Sichtweise der Umzonungsgegner stützen, indem er betont, dass es den Betreibern vor allem um die Entflechtung des Wohn- und Therapiehofbetriebs geht. Ein Anliegen also, das nicht gerade als existentiell zu bezeichnen ist und lediglich die Expansionsabsichten bremsen würde.

Die von Beschwerdegegnerseite vermutete Vetternwirtschaft lässt sich unserer Ansicht nach nicht objektiv belegen. Dem Vorwurf widerspricht auch die Tatsache, dass die Umzonung nicht nur durch die Gemeinde, sondern auch durch den Kanton befürwortet wird. Dieser ist erfahrungsgemäss sehr zurückhaltend bei der Bewilligung entsprechender Bauvorhaben im Landschaftsschutzgebiet.

Wie der Beschwerdegegner richtig festgestellt haben, geht der Beitrag nicht auf allfällig widerrechtlich erstellte Bauten ein. Eine detaillierte Aufarbeitung dieser Vorgeschichte mit noch rechtlich hängigen und ungeklärten Verfahren würde den Rahmen eines solchen Beitrags sprengen. Wir sind aber der Meinung, dass dieser Konflikt zumindest hätte erwähnt werden sollen.“

3. Einschätzung des Ombudsmanns

In der Volksabstimmung vom 3. März 2024 wurde in Wettingen eine Teiländerung der Nutzungsplanung (NP) Kulturland (Spezialzone «Berg», § 33bis BNO) beschlossen. Grund für diese Teiländerung der Nutzungsplanung war, dass «die bestehenden Bauten und Anlagen sowie die Platzverhältnisse (…) für die parallele und nachhaltige Weiterführung von Landwirtschafts- und Therapiebetrieb nicht aus[reichen]. Die Stiftung «Begegnung mit Tieren» beantragte deshalb, im Gebiet «Berg» eine Teiländerung der Nutzungsplanung Kulturland durchzuführen. (…) Dafür sollen eine Fläche von 4‘460 m2 von der Landwirtschaftszone in eine neu zu schaffende Spezialzone «Berg» umgezont und in diesem Bereich die überlagernde Landschaftsschutzzone aufgehoben werden» (Medienmitteilung der Gemeinde Wettingen vom 21.08.2023; https://www.wettingen.ch/aktuellesinformationen/1933759).

Der von Ihnen beanstandete Beitrag wurde elf Tage vor dem Abstimmungstermin ausgestrahlt. Thematisiert wurde die beschriebene Abstimmungsvorlage. Vorgestellt wurde der Therapiebetrieb der Familie B., in dem einige Bilder zum Betrieb gezeigt wurden und Personen, welche für ihre Angehörigen dieses Angebot nutzen, zur Sprache kamen. Herr B. selbst erläuterte, wo der neue Betrieb zu stehen kommen könnte und meinte in einem zweiten Statement, dass er den politischen Wirbel nicht verstehen könne, sei dieses Therapieangebot doch seit zehn Jahren da und auch benötigt. Eine Angehörige einer Person, welche das Therapieangebot nutzt, meinte zum Schluss, dass sie kein Alternativangebot hätte. Im Off-Text wird erwähnt, dass auch das Nein-Komitee das Therapie-Angebot befürworte, aber der Standort in einer Landschaftsschutzzone nicht richtig sei. Eine Vertreterin des Nein-Komitees äusserte sich in einem kurzen Statement dahingehend, dass bei einer so grossen Bebauung die Biodiversität des Bodens verloren ginge und ein Präzedenzfall geschaffen werde.

Bei Sendungen vor Wahlen und Abstimmungen gelten verschärfte Programmbedingungen. Das Bundesgericht (BGE 134 I 2) äussert sich zur Einhaltung des Vielfaltsgebots vor Wahlen und Abstimmungen wie folgt: „Je ausgeprägter der Wahl- oder Abstimmungscharakter eines Beitrags ist, desto strikter sind im Vorfeld entsprechender Volksentscheide die journalistischen Sorgfaltspflichten zu wahren (…). Dabei kommt es nicht auf die subjektive Einschätzung des Veranstalters bezüglich der Natur des Sendegefässes oder der Zielsetzung seines Beitrags an, sondern auf dessen objektiv abzuschätzende Wirkung auf das Publikum. Je später vor dem Urnengang und je intensiver eine Stellungnahme zu einer Wahl oder Abstimmung an Radio und Fernsehen erfolgt, umso strikter soll jede Einseitigkeit und Manipulation ausgeschlossen werden.“ Für die Prüfung der Einhaltung des Vielfaltsgebots sind gemäss Bundesgericht drei rechtliche Kriterien massgebend: Die journalistischen Sorgfaltspflichten gelten in erhöhtem Masse, wenn die Sendung einer sie betreffenden Abstimmung vorangeht. Zweitens müssen die verschiedenen Standpunkte ausgewogen und Minderheitsmeinungen in angemessenen Umfang dargestellt werden. Drittens ist – wie bereits oben erwähnt – weder die Form der Sendung noch die (persönliche) Einschätzung des Senders über den Zweck seiner Ausstrahlung zu berücksichtigen, sondern vielmehr die objektiv abzuschätzende Wirkung auf das Publikum (TF 2C 859-2022 du 20 septembre 2023). Tele M1 ist ein Regionalfernsehveranstalter mit Konzession und hat sich dementsprechend an diese Vorgaben zu halten (vgl. BGE 138 I 107).

Nicht zu beanstanden ist meines Erachtens, dass der Beitrag einleitend den Therapiehof vorstellte und auch Betroffene, die das Angebot nutzen, zu Wort kommen liess. Der Zuschauer und die Zuschauerinnen können sich so ein Bild darüber machen, um welches Therapie-Angebot es sich handelt und dass dafür ein Bedürfnis besteht. Das Therapieangebot war denn beim Abstimmungskampf auch nicht bestritten, sondern lediglich der Standort eines neuen und erweiterten Angebots. Die Argumente des Nein-Komitees kamen äusserst knapp in einem Satz sowie in einem kurzen Statement einer Vertreterin des Nein-Komitees im Beitrag vor. Von einem angemessenen Umfang kann man dabei wohl kaum sprechen. Vielmehr wurde den Zuschauerinnen und den Zuschauern mit dem Beitrag ein Bild dieses Therapiehofes vermittelt, der wegen den Gegnern einer Umzonung von seiner Existenz bedroht ist und dies vermieden werden müsse, da es für die Betroffenen, insbesondere die Nutzerinnen und Nutzer des Angebots, keine Alternative gäbe. Unterstützt wurde dieser Eindruck durch die Bilder und die Aussagen von Herrn B. zum neuen Standort an idyllischer Lage, sein Statement zu seiner langjährigen Aufbauarbeit und der Notwendigkeit eines Therapiehofes wie auch der Aussage einer Mutter eines Sohnes, der auf ein derartiges - einzigartiges - Angebot angewiesen sei.

Ihren Angaben zufolge waren der Redaktion insbesondere die breite Abstützung gegen das Projekt, der seit 30 Jahren illegal in einer Schutzzone ohne Baubewilligung erstellte Sandplatz der Familie B., alternative Standorte, welche die Familie B. ablehne, bekannt. Auch musste der erste Abstimmungstermin vom November 2023 wegen einer Beschwerde auf den März 2024 neu verlegt werden. Zu all diesen Argumenten erfuhren die Zuschauerinnen und der Zuschauer im Beitrag nichts. Um mir ein Bild über die Recherche zu machen, fragte ich im Anschluss an die erhaltene Stellungnahme des Veranstalters nach, welche Fragen an die Vertreterin des Nein-Komitees gestellt worden. Die Antwort lautete wie folgt:

  • „Warum sind sie gegen dieses Projekt?
  • Das Projekt unterstütze ja psychisch kranke Menschen und vor allem auch Kinder in ihrer Therapie. Müsste man das nicht auch unterstützen und den Landschaftsschutz ein wenig zurückstellen?
  • Wie breit ist die Abstützung der Umzonungsgegner?
  • Was sagen sie dazu, dass auch der Kanton Aargau das Projekt unterstützt?“ Zur ersten Frage erhielt man eine Antwort im Beitrag. Die restlichen drei Fragen wurden nicht beantwortet, auch nicht von der Journalistin recherchiert in einer Zusammenfassung vorgetragen. Für Zuschauerinnen und Zuschauer, die nicht über Ihr Hintergrundwissen verfügten, war es kaum möglich, sich ein eigenes Bild zum Beitrag zu machen. Einige wenige zusätzliche Informationen wie z.B. zur Geschichte des Therapie-Hofes (widerrechtlich erstellte Bauten) und abgelehnte Angebote für mögliche Alternativstandorte hätten erwähnt werden sollen, damit das von der Journalistin recht einseitig gezeichnete Bild eines notwendigen Therapie-Hofes am gezeigten Standort etwas relativiert worden wäre.

Insgesamt betrachtet erachte ich den vom Ihnen beanstandeten Beitrag nicht als sachgerecht und infolge seiner Ausstrahlung kurz vor einem Urnengang dem programmrechtlichen Vielfaltsgebot zuwiderlaufend. Ich empfehle der Chefredaktion von Tele M1, diesen Beitrag unter Berücksichtigung der aufgeführten Argumente mit den an der Produktion beteiligten Personen eingehend zu besprechen.

Ich bitte Sie, das vorliegende Schreiben als meinen Schlussbericht gemäss Art. 93 Abs. 3 RTVG entgegenzunehmen. Über die Möglichkeit der Beschwerde an die unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen UBI orientiert Sie das beigefügte Merkblatt.

Mit freundlichen Grüssen

Dr. Oliver Sidler Ombudsmann