Beanstandung der Sendung SonntagsZeitung Standpunkte vom 7. Februar 2021 - SRF (PresseTV)

Schlussbericht des Ombudsmanns

Sehr geehrter Herr X

Ihre Beanstandung vom 7. Februar 2021 habe ich erhalten und am 10. Februar 2021 die Chefredaktion des Sendegefässes „SonntagsZeitung Standpunkte“ von PresseTV zur Stellungnahme aufgefordert. Mit Schreiben vom 15. Februar 2021 ist die Stellungnahme bei mir eingetroffen.

Ich habe mir den beanstandeten Beitrag eingehend und in voller Länge angesehen, die Stellungnahme des Veranstalters gelesen und mir meine Gedanken gemacht. Ich kann Ihnen daher meinen Schlussbericht zukommen lassen.

Nach Art. 93 des Bundesgesetzes über Radio und Fernsehen (RTVG) prüft die Ombudsstelle die Angelegenheit und vermittelt zwischen den Beteiligten. Sie kann insbesondere die Angelegenheit mit dem Veranstalter besprechen, oder ihm in leichten Fällen zur direkten Erledigung überweisen. Sie kann auch für eine direkte Begegnung zwischen den Beteiligten sorgen, Empfehlungen an den Programmveranstalter abgeben oder die Beteiligten über die Zuständigkeiten, das massgebende Recht und den Rechtsweg orientieren. Nach Art. 93 Abs. 2 RTVG hat die Ombudsstelle keine Entscheidungs- oder Weisungsbefugnis.

Beanstandung

„Mit grossem Bestürzen musste ich erneut feststellen, dass eine Standpunkte Sendung völlig unausgewogen besetzt wurde. In der Sendung Sonntagszeitung Standpunkte vom 7. Februar: "Rahmenabkommen CH-EU: Und Jetzt?" wurden allesamt Vertreter der Wirtschaft bzw. der Wirtschaft sehr nahestehende Vertreter eingeladen ohne einen einzigen Arbeitnehmervertreter. Auch wenn sich die vier Gäste scheinbar uneinig über das Themas sind, so könnten sie sich auch noch so einig sein beim Rahmenabkommen, sie hätten vor der Urne ohne den Segen der Sozialpartner keine Chance. Angesichts der offensichtlichen Tatsache, dass der Lohnschutz bzw. der Schutz der Arbeitnehmerinteressen der grösste Streitpunkt beim Rahmenabkommen darstellt und bisher die schwerwiegendsten politischen Diskussionen auslöste, scheint es relativ naiv eine Podiumsdiskussion zum Rahmenabkommen auszustrahlen ohne einen einzigen Arbeitnehmervertreter bzw. Gewerkschafter einzuladen. Hingegen war die Pro-Seite mit praktisch deckungsgleichen Positionen vertreten. Auch wenn die GLP und die FDP diese bestreiten mögen, so ist der Unterschied zwischen einen "Ja" und einem "Ja aus Vernunft" schlichtweg zu geringfügig. Man braucht nun wirklich kein grossartiger Kenner der Schweizer Politik zu sein um zu wissen, dass dieses Rahmenabkommen nur mit einer gemeinsamen Lösung zwischen den Sozialpartnern angenommen werden wird. So war es auch schon bei den Bilateralen und so ziemlich jeder Abstimmung zu Sozialpolitik. Angesichts der Tatsache, dass man bereits bei den Basler Zeitung Standpunkten vom 13.09.20 eine ähnlich untaugliche Besetzung vorfand, reicht es mir nun endgültig.

Ich beanstande deshalb an der Sendung SonntagsZeitung Standpunkte vom 7. Februar: "Rahmenabkommen CH-EU: Und Jetzt?" aufgrund fehlender Vielfalt der Gäste gegen folgende zwei Punkte verstossen zu haben:

  1. Das Gebot der Sachgerechtigkeit: Die Position der Gewerkschaften stellen in der Diskussion um das Rahmenabkommen eine eigenständige Position sui generis dar. Sowohl die Gäste der Pro- als auch der Kontraseite vermögen diese Position und deren zugrundeliegenden Fakten und Informationen nicht abbilden, weshalb die Meinungsbildung des Publikums stark verzerrt wird bzw. sogar verunmöglicht wird.
  2. Das Vielfaltsgebot: Die fehlende Vertretung der Arbeitnehmer und ihrer Interessen verstösst krass gegen das Vielfaltsgebot. Ich habe bereits oben ausgeführt wieso die Sozialpartner die wichtigsten Player in diesem womöglich bald anstehenden Abstimmungskampf sein werden. Es ist zudem bekannt, dass unter den Sozialpartnern bereits nach Lösungen gesucht wird. Die fehlende Vertretung der Arbeitnehmer verstösst somit sowohl sachlich als auch moralisch gegen das Vielfaltsgebot.

Ich hoffe Sie nehmen sich meine Beschwerde zu Herzen und setzen sich für den nötigen Pluralismus im Journalismus ein. Besten Dank!“

Stellungnahme Veranstalter

"Ausgangslage der Sendung "Rahmenabkommen CH-EU: Und Jetzt?“ war die neu aufgekommene Gegnerschaft des Rahmenvertrags (Kompass Europa, mit Prominenten wie Kurt Aeschbacher, Bernhard Russi oder Dieter Meier, oder auch Autonomiesuisse). Im Zentrum der Diskussion stand die Frage, welches Gewicht dieser neuen Gegnerschaft zuzumessen ist und ob die Souveränitätsfrage die entscheidende Frage bei der Debatte um das Rahmenabkommen ist. Natürlich hätte man auch Arbeitnehmer- oder Gewerkschaftsvertreter einladen können. Zwei Argumente sprachen dagegen: es ging eben gerade nicht um den Lohnschutz (oder andere bisher im Zentrum stehende Elemente wie Unionsbürgerrichtlinie, etc.) sondern um diese neuen Kräfte rund um die Souveränitätsfrage. Und zweitens ist ein Grossteil des Arbeitnehmer- oder Gewerkschaftslagers ebenfalls gegen das Rahmenabkommen in dieser Form. Hätte man stattdessen eine Person aus diesem Lager eingeladen, wäre die Sendung unausgeglichen besetzt gewesen, nämlich 3 gegen, 1 für das Rahmenabkommen. Ganz grundsätzlich ist zu sagen, dass eine einzelne Sendung sich selbstverständlich auf einen bestimmten Fokus konzentrieren darf, solange dieser kontrovers diskutiert wird. Entscheidend ist, dass in der Gesamtheit der Sendungen alle relevanten Aspekte zum tragen kommen. Standpunkte hat in vielen Sendungen diese andern Aspekte thematisiert."

Einschätzung des Ombudsmanns

Bevor ich mich zur beanstandeten Sendung äussere, mache ich Sie darauf aufmerksam, dass nur konzessionierte Programme in der Gesamtheit ihrer redaktionellen Sendungen die Vielfalt der Ereignisse und Ansichten angemessen zum Ausdruck bringen müssen (Art. 4 Abs. 4 RTVG). Das sog. Vielfaltsgebot, dessen Verletzung Sie ebenfalls rügen, kommt vorliegend nicht zur Anwendung, da die Veranstalterin des Sendegefässes „SonntagsZeitung Standpunkte“ nicht über eine Konzession verfügt.

Verbleibt somit die Frage, ob durch das Fehlen einer Arbeitnehmervertreterin bzw. Gewerkschafters in der Diskussionssendung das programmrechtliche Sachgerechtigkeitsgebot verletzt wurde, weil der Standpunkt der (in der Tat wichtigen) Sozialpartner nicht eingebracht werden konnte. Das Sachgerechtigkeitsgebot (Art. 4 Abs. 2 RTVG) schreibt vor, dass redaktionelle Sendungen mit Informationsgehalt Tatsachen und Ereignisse sachgerecht darstellen, so dass sich das Publikum eine eigene Meinung bilden kann. Ansichten und Kommentare müssen als solche erkennbar sein.

In der fraglichen Diskussionssendung mit dem Titel „Rahmenabkommen CH-EU: Und jetzt?“ sollten gemäss Ankündigung auf der Webseite zur Sendung die folgenden Fragen diskutiert werden: „Hat der Brexit eine neue Ausgangslage für die Verhandlungen über das Rahmenabkommen Schweiz-EU geschaffen? Die kritischen Stimmen mehren sich, immer stärker wird ein Abbruch der Verhandlungen gefordert. Wie stark würde das die Beziehungen zur EU und die Bilateralen Verträge gefährden? Oder ist das Rahmenabkommen bereits chancenlos?“ Auch in der Einleitung zu Sendung wies der Moderator darauf hin, dass in der Sendung über den Widerstand gegen das Rahmenabkommen, z.B. von neuen Gruppierungen wie „Kompass Europa“, oder der Parlamentsmitte, diskutiert werde. Eingeladen zur Sendung wurde ein Vertreter der neuen Gruppierung „Kompass Europa“ und Markus Somm, der als ständiger Gast in der Sendung mitwirken soll. Beide lehnen das Abkommen in der heutigen Form ab. Bei den Befürworterinnen des Abkommens nahmen Christa Markwalder (Nationalrätin FDP) und Tiana Angelina Moser (Nationalrätin GLP) an der Diskussion teil.

Die Sozialpartner sind nicht nur wegen dem Lohnschutz gegen das Rahmenabkommen mit der EU, sondern auch wegen der Streitschlichtung und damit der dynamischen Rechtsübernahme. Diese Stimmen haben meines Erachtens gefehlt in der doch eher „wirtschaftslastigen“ Diskussionssendung. Letztendlich ist dies aber nicht zur programmrechtlichen Beurteilung der Sendung unter dem Gesichtspunkt des Sachgerechtigkeitsgebots nicht relevant. Die Diskussion drehte sich hauptsächlich um die Souveränitätsfrage und die damit verbundene dynamische Rechtsübernahme. Kontrovers debattiert wurde fast nur über die Auslegung der dynamischen Rechtsübernahme, wobei beide Standpunkte zur Sprache kamen. Der Moderator hat es versäumt, dem Publikum den Vorgang der dynamischen Rechtsübernahme zu erklären, damit die einzelnen Voten der Teilnehmerinnen und Teilnehmer besser eingeordnet werden konnten. Immerhin konnte man erkennen, dass im Rahmenabkommen für das eine Lager letztendlich eine automatisierte Rechtsübernahme enthalten sein soll und für das andere Lager die Souveränitätsrechte der Schweiz nicht tangiert werden könnten. Zum eigentlichen Thema der Sendung wurde erst richtig im letzten Drittel debattiert. Insbesondere der Vertreter von „Kompass Europa“ versuchte immer wieder, die Diskussion auf die Frage, was bei einer Ablehnung des Abkommens durch das Volk passieren wird, zu lenken. Gestreift wurde auch der Vergleich zwischen dem BREXIT-Abkommen und dem Rahmenabkommen mit der Schweiz. Insgesamt konnten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihre Voten ungehindert abgeben und die Zuschauerin und der Zuschauer konnten sich eine eigene Meinung zu den debattierten Themen bilden. Beschnitten in seinen Aussagen wurde offenbar Markus Somm, der auf eine Frage nicht antwortete, da der Moderator ihn nicht sprechen hören wolle. Diese für den unbeteiligten Zuschauer unverständliche Szene hing offenbar mit einer Auseinandersetzung zwischen dem Moderator und Herrn Somm zusammen, welche nachträglich von der Aufnahme entfernt wurde (vgl. https://www.aargauerzeitung.ch/schweiz/schweizer-radio-und-fernsehen-srf-schneidet-szene-aus-polittalk-streit-zwischen-moderator-reto-brennwald-und-publizist-markus-somm-eskalierte-ld.2099357). Die Szene wirkte skurril wie auch der abrupte Abgang von Markus Somm am Schluss der Diskussionssendung. Ich bitte Sie, das vorliegende Schreiben als meinen Schlussbericht gemäss Art. 93 Abs. 3 RTVG entgegenzunehmen. Über die Möglichkeit der Beschwerde an die unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen UBI orientiert Sie das beigefügte Merkblatt.

Mit freundlichen Grüssen

Dr. Oliver Sidler Ombudsmann