Beanstandung der Sendung „Aktuell“ vom 22. Mai 2020 - Tele M1
Schlussbericht des Ombudsmanns
Sehr geehrter Herr X
Ihre Beanstandung vom 23. Mai 2020 habe ich erhalten und am 25. Mai 2020 die Chefredaktion von Tele M1zur Stellungnahme aufgefordert. Mit Schreiben vom 2. Juni 2020 ist die Stellungnahme bei mir eingetroffen.
Ich habe mir den beanstandeten Beitrag eingehend und in voller Länge angesehen, die Stellungnahme des Veranstalters gelesen und mir meine Gedanken gemacht. Ich kann Ihnen daher meinen Schlussbericht zukommen lassen.
Nach Art. 93 des Bundesgesetzes über Radio und Fernsehen (RTVG) prüft die Ombudsstelle die Angelegenheit und vermittelt zwischen den Beteiligten. Sie kann insbesondere die Angelegenheit mit dem Veranstalter besprechen, oder ihm in leichten Fällen zur direkten Erledigung überweisen. Sie kann auch für eine direkte Begegnung zwischen den Beteiligten sorgen, Empfehlungen an den Programmveranstalter abgeben oder die Beteiligten über die Zuständigkeiten, das massgebende Recht und den Rechtsweg orientieren. Nach Art. 93 Abs. 2 RTVG hat die Ombudsstelle keine Entscheidungs- oder Weisungsbefugnis.
Beanstandung
„Ich beziehe mich auf die Sendung auf Tele M1 am 22.5.20. Sie nehmen Bezug auf die Entlassung von Prof. Fandino am KSA. Eine für mich als Fachmann eher überlagerte Patientin musste 2x operiert werden und führt die Re-Op offenbar darauf zurück, dass sie nach der 1. Op kurzzeitig die Halskrause („Schanzsche Krawatte“) ablegen musste. Ausserdem scheint sie durch den „barschen Ton“ (zugestandenermassen eine extrem subjektive Kategorie) traumatisiert. Ich frage mich nun, wie Sie als öffentliches Medium so einseitig Partei ergreifen können?
Als jemand, der seit über 20 Jahren diese Eingriffe mit der Häufigkeit von 1x Woche bis 1x Monat durchführt, kann ich Ihnen versichern, dass ein Halskragen postoperativ eher als Kunstfehler anzusehen ist. Wie Sie sich auch als Laie denken können, führt die Immobilisation der Muskulatur zu einem Muskelschwund (ich drücke mich einmal bewusst vulgärmedizinisch aus), der dann recht aufwendig durch Physiotherapie konterkariert werden muss. Seit Abkehr von Techniken von Cloward und Smith-Robinson und Verwendung von Alloimplantaten ist auch eine Halskrause in den allermeisten Fällen obsolet. Im Beitrag sieht man auch kurz Röntgenbilder mit einem ACIF C6/7 mit Platte (ich vermute eine 1. Op?) Und einem PEEK Cage in Höhe C5/6. Diesen präsentiert die Patientin irgendwo im Beitrag im Gläschen. Nun ist es a) eine Tollkühnheit ein „topping of“ einer älteren 1 Etagen Fusion mit einem stand alone PEEK-Cage zu wagen (zumal es längst eine Vielzahl von Schraub-Cages gibt und ja wohl nicht grundlos eine Platte bei der 1. Op verwendet wurde). Es ist auch b) eine Kombination von Frech- und Feigheit als Operateur (und das war ja laut Beitrag Prof. Fandino nicht), die Patientin und ihre Anwältin so „einzunorden“, dass dann die Abnahme der Halskrause als Auslöser der absehbaren Katastrophe erscheint und Fandino vom kaum beteiligten Dritten zum Haupttäter mutiert. Es ist noch eine andere Konstellation in Bezug auf die Bilder denkbar: doch auch dabei bleibt es dabei: das kurzzeitige Abhehmen der Halskrause hat mit der späteren Re-Op überhaupt nichts zu tun. Wenn es die Patientin noch nicht weiss: das Gericht wird es ihr sagen! Werden Sie darüber berichten?
Ich frage mich wirklich, ob man besonders als Konsument ohne Hintergrundwissen, sich nicht darauf verlassen können müsste, dass komplexe Sachverhalte von Tele M1 vor Ausstrahlung von unabhängigen Experten gegengecheckt werden oder anders, welchen Mist man so schon in der Vergangenheit als „Qualitätsjournalismus“ verkauft bekommen hat in Bereichen, wo man das Hintergrundwissen selber dann nicht hat. Immerhin ist es in diesem Fall meinem Fachwissen mit einpaar hundert möglicherweise auch schon 1000 dieser Operationen zu verdanken, dass mir dieser Schmu auffiel. Nur wieviele Zuschauer haben dieses Fachwissen nicht? 99.99 % oder 99.999? In diesem Fall beschädigen Sie ohne irgendeine Rechtfertigung Prof. Fandino. Als Jurist (?) sollte Ihnen folgende Konstellation zu denken geben: was machen „wir“, wenn mich beispielsweise einer meiner Patienten verklagt, weil er nach dem Beitrag das Gefühl hat, dass nach einem solchen Eingriff eine Halskrause extrem notwendig ist, ich meinen Patienten aber prinzipiell diese Halskrause nicht verordne (wie die meisten meiner Kollegen)? Da heutzutage jeder eine Rechtsschutzversicherung hat und von den Rechtsanwälten zum klagenklagenklagen animiert wird und man es häufiger erlebt, dass spezialisierte Kanzleien sich die Akten „prophylaktisch“ zuschicken lassen, um danach erst den Vorwurf zu formulieren (was ja eigentlich der Idee der Haftpflicht von Schäden Hohn spricht) frage ich mich, was durch diese Art von Beiträgen erreicht werden soll? Arbeitsbeschaffung für Anwälte? Sind Sie sicher, dass Ihre persönliche medizinische Versorgung davon irgendwie profitiert? Ich glaube nicht! Ich meine, es ist berechtigt von Tele M1 über Sie eine Richtigstellung zu verlangen!“
Stellungnahme Veranstalter
„Als stv. Chefredaktor und verantwortlicher Produzent der beanstandeten Nachrichtensendung vom 22.5.2020 nehme ich zur Beschwerde vom Herrn X Stellung.
Zuerst möchte ich anmerken, dass Herr Fandino ein Interview vor der Kamera abgelehnt hat und sich nur schriftlich äussern wollte. Ich teile die Grundeinschätzung des Beschwerdeführers X, dass es für den Zuschauer nicht einfach ist, alleine aufgrund eines einzelnen Nachrichtenbeitrags von 2 Minuten Länge beurteilen zu können, ob die Nachoperation eine Folge von Herrn Fandinos Intervention ist. Jedoch kann ich mir als Laie auch nach den fachlichen Ausführungen des Beschwerdeführers kein abschliessendes Urteil bilden. Ich komme lediglich zum Schluss, dass es da unter den Medizinern unterschiedliche Sichtweisen zum Nutzen dieser Halskrause gibt. Der Arzt, der die Patientin im vorliegenden Fall operiert hat, hielt die Halskrause jedenfalls für notwendig und verordnete ihr diese.
Bei der späteren Visite gelang es Herrn Fandino offenbar nicht, der Patientin seine, den Anweisungen des Operateurs widersprechenden, Anordnungen verständlich zu machen. Laut Aussage der Patientin trug der Umgangston auch nicht gerade zu dieser Verständigung bei.
Schlussendlich geht es im vorliegenden Beitrag nicht nur um die Frage, ob hier allenfalls ein Kunstfehler vorliegt. Der Beitrag steht im Kontext, dass Herr Fandino und das Kantonsspital Aarau sich getrennt und zu den Gründen Stillschweigen vereinbart haben. Dem Tele M1-Beitrag gingen die Recherchen und ein Artikel der Aargauer Zeitung voraus. Demnach dürften zwischenmenschliche und kommunikative Probleme wie im vorliegenden Fall, für die Trennung eine wesentliche Rolle gespielt haben.
Diese Hintergründe dürften dem Beschwerdeführer bekannt sein, zumal das Kantonsspital auch mit ihm die Zusammenarbeit beendet hat, nachdem er sich öffentlich für Herrn Fandino stark gemacht und das KSA kritisiert hat. Matthias Achermann“
Einschätzung des Ombudsmanns
Der von Ihnen beanstandete Beitrag wurde im Rahmen der Sendung „M1 aktuell“ am 22. Mai 2020 ausgestrahlt. Bereits in der Schlagzeilenübersicht wurde auf den Beitrag hingewiesen, mit folgendem Wortlaut: „Schwere Vorwürfe. Der ehemalige KSA-Chefarzt soll sich bei Patientenbehandlungen mehrfach Fehltritte geleistet haben“. In der Anmoderation zum Beitrag selber wird auf die unbeantwortete Frage, weshalb der ehemalige KSA-Chefarzt „Knall auf Fall“ entlassen worden sei, eingegangen. Die Frage beantworten wolle offiziell niemand. Erwähnt wird die Patientin, die im nachfolgenden Beitrag gezeigt wird. Aber nicht nur sie mache dem renommierten Neurochirurgen heftige Vorwürfe.
Der Beitrag eingeleitet wird mit einem Off-Text, wonach sich der ehemalige KSA-Chefarzt als Unbeteiligter in die Behandlung einer Patientin eingemischt habe, weshalb eine zweite Operation durchgeführt werden musste. Die Patientin erzählt, dass sie nach einer ersten Halswirbeloperation auf Anweisung des ehemaligen KSA-Chefarztes Fandino den ihr angelegten Halskragen abnehmen und den Kopf auf verschiedene Seiten drehen musste. Dadurch sei ein Einsatz, der operativ eingesetzt wurde, in der Halswirbelsäule verrutscht. Mit den Vorwürfen konfrontiert, äusserte sich Herr Fandino schriftlich. Auszüge aus seiner Stellungnahme wurden im Beitrag gezeigt. Gezeigt wurden dabei Bilder von ihm aus einer anderen Sendung (ohne Quellenangabe). Weiter wird im Beitrag ein Vorwurf einer anderen Patientin erwähnt, dass der Chirurg bei ihrer Hirntumoroperation eine nicht anerkannte, experimentelle Methode angewandt habe. Eine Klage sei eingereicht worden. Auch zu diesem Vorwurf wurde die Stellungnahme des Neurochirurgen respektive Teile davon eingeblendet und Herr Fandino konnte seinen Standpunkt darlegen. In der eingeblendeten Stellungnahme wurde auch auf zwei Ermahnungen eingegangen, die während der über 17-jährigen Arbeitszeit am Kantonsspital Aarau vom Arbeitgeber ausgesprochen wurden. Gemäss Stellungnahme liegen diese weit zurück und sind nicht mehr für die aktuelle Kündigung relevant. Gemutmasst wird anschliessend, ob vielleicht der barsche Ton, der Umgang des Neurochirurgen mit den Patienten der Grund für die Kündigung gewesen sei. Daraufhin wird wiederum aus der Stellungnahme des Neurochirurgen berichtet, dass seine Kündigung nichts mit seinen medizinischen Fähigkeiten respektive Integrität zu tun habe und dass über die wahren Kündigungsgründe von Seiten des Kantonsspitals Aarau wie auch dem Neurochirurgen selber Stillschweigen vereinbart worden sei. Sie als Fachmann gehen davon aus, dass die eher überlagerte Patientin zwei Mal operiert werden musste und stören sich daran, dass im Bericht das Entfernen der Halskrause als Grund genannt wird. Die Verwendung von Halskrausen sei heute in den meisten Fällen obsolet und Sie zweifeln an der bei der Patientin vorgenommenen Operationsmethode.
Die Operationsmethode resp. die Verordnung der Halskrause waren nicht Gegenstand der Sendung, sondern das Entfernen der Halskrause durch Herrn Fandino und der - gemäss Aussagen der Patientin - barsche Ton des Neurochirurgen. Zum Vorwurf des nicht angebrachten Entfernens der Halskrause - ob diese nun notwendig war oder nicht – und die anschliessenden Beweglichkeitsübungen konnte sich Herr Fandino äussern und seine Stellungnahme wurde deutlich eingeblendet und vorgelesen. Die Zuschauerin und der Zuschauer hätten sich ein eigenes Bild über diesen Vorgang und die Aussagen dazu machen können. Die Stellungnahme von Herrn Fandino dazu wurde aber durch den anschliessenden Hinweis zum Therapeuten (offenbar wurde von Seiten der Redaktion – bedauerlicherweise - nicht mit dem Chirurgen, der die Operation durchführte, Kontakt aufgenommen), der das Entfernen der Halskrause untersagte, wieder relativiert. Diese Aussage hätte meines Erachtens vor dem Einblenden von Fandinos Stellungnahme ausgestrahlt werden müssen, damit sich das Publikum ein eigenes Bild zu den Vorgängen machen konnte. Fast im gleichen Atemzug mit dem Hinweis zum Therapeuten wies die Off-Sprecherin auf eine Klage einer Patientin wegen einer experimentellen Operationstechnik bei Hirnoperationen hin und erwähnte, dass Herr Fandino dies ebenfalls abstreite und eine weltweit etablierte Methode angewendet habe. Diese Aussage von Herrn Fandino wurde stark verkürzt dargestellt und entspricht nicht vollumfänglich seiner Stellungnahme, die mir von der Redaktion zur Verfügung gestellt wurde. Vertiefte medizinische Erläuterungen dazu waren in diesem kurzen Beitrag sicherlich nicht angebracht, aber die nur oberflächliche Erwähnung der Klage zur experimentellen Operationstechnik (gemäss Stellungnahme von Herrn Fandino stammt der Fall aus dem Jahr 2013) ohne Hinweis auf das laufende Verfahren und die Unschuldsvermutung legen den Schluss nahe, dass es der Redaktion lediglich darum ging, mutmassliche Gründe für die Entlassung des Neurochirurgen aufzulisten, weil von Seiten des Arbeitnehmers wie auch Arbeitgebers Stillschweigen über die Gründe der Beendigung des Arbeitsverhältnisses vereinbart wurde. Daran ändert meines Erachtens auch die Einblendung eines Ausschnitts aus der Stellungnahme von Herrn Fandino zu den arbeitsrechtlichen Ermahnungen wie auch der Hinweis aus der Stellungnahme, dass die Kündigung nichts mit seiner medizinischen Leistung oder Integrität zu tun habe, nichts. Zum Vorwurf des „barschen Tons“ gegenüber der im Beitrag gezeigten Patientin, was von dieser als möglicher Grund für die Kündigung angegeben wurde, konnte der Betroffene keine Stellung nehmen.
Der Beitrag weist einige journalistische Mängel auf (Relativieren der Stellungnahme des Betroffenen, oberflächliches Erwähnen einer Klage zu einer Operationstechnik ohne Hinweis auf das laufende Verfahren und die Unschuldsvermutung, Fehlen einer Stellungnahme zum Vorwurf des barschen Umgangstons gegenüber einer Patientin), über die man hinwegsehen könnte, wäre da nicht der allgemeine Eindruck, dass die Redaktion das Augenmerk der Zuschauerinnen und Zuschauer auf die mehrfachen Fehltritte bei Patientenbehandlungen (Schlagzeile zu Beginn der Sendung: „Schwere Vorwürfe. Der ehemalige KSA-Chefarzt soll sich bei Patientenbehandlungen mehrfach Fehlritte gleistet haben“) lenkte, im Beitrag aber lediglich einen alten Fall eines hängigen Gerichtsverfahrens und einen unter Fachleuten offenbar umstrittenen Vorwurf einer Patientin aufzeigte. Dabei wurde in der Anmoderation zum Beitrag die Erwartung geweckt, dass aktuell neben dem Vorwurf der im Beitrag gezeigten Patientin viele andere Patienten Vorwürfe gegen Herrn Fandino erheben würden: „Heidi Grieder aus Menzingen ist eine der vielen Patienten, die in den letzten Jahren vom KSA-Chefarzt behandelt worden sind. Und nicht nur sie macht dem renommierten Neurochirurgen jetzt heftige Vorwürfe“. Der Beitrag erweckt den falschen Eindruck, dass der wahre Grund der Kündigung bei den vielen medizinischen Fehltritten bei Patientenbehandlungen liegt, obwohl der Redaktion gemäss Stellungnahme des Veranstalters bekannt war, dass „zwischenmenschliche und kommunikative Probleme wie im vorliegenden Fall, für die Trennung eine wesentliche Rolle gespielt haben“. Diese wurden im Beitrag nur ganz am Rande mit einer Aussage einer Patientin erwähnt und der Betroffene konnte dazu nicht einmal Stellung nehmen.
Der von Ihnen beanstandete Beitrag war somit geeignet, die freie Meinungsbildung der Zuschauerinnen und Zuschauer zu beeinflussen.
Ich bitte Sie, das vorliegende Schreiben als meinen Schlussbericht gemäss Art. 93 Abs. 3 RTVG entgegenzunehmen. Über die Möglichkeit der Beschwerde an die unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen UBI orientiert Sie das beigefügte Merkblatt.
Mit freundlichen Grüssen
Dr. Oliver Sidler Ombudsmann