Beanstandung des Spielfilms „The Purge“ vom 3. Februar 2020 auf 4+

Schlussbericht des Ombudsmanns

Sehr geehrter Herr X

Ihre Beanstandung vom 3. Februar 2020 habe ich erhalten und am 4. Februar 2020 die Chefredaktion von 4+ zur Stellungnahme aufgefordert. Mit Schreiben vom 19. Februar 2020 ist die Stellungnahme bei mir eingetroffen.

Ich habe mir den beanstandeten Beitrag eingehend und in voller Länge angesehen, die Stellungnahme des Veranstalters gelesen und mir meine Gedanken gemacht. Ich kann Ihnen daher meinen Schlussbericht zukommen lassen.

Nach Art. 93 des Bundesgesetzes über Radio und Fernsehen (RTVG) prüft die Ombudsstelle die Angelegenheit und vermittelt zwischen den Beteiligten. Sie kann insbesondere die Angelegenheit mit dem Veranstalter besprechen, oder ihm in leichten Fällen zur direkten Erledigung überweisen. Sie kann auch für eine direkte Begegnung zwischen den Beteiligten sorgen, Empfehlungen an den Programmveranstalter abgeben oder die Beteiligten über die Zuständigkeiten, das massgebende Recht und den Rechtsweg orientieren. Nach Art. 93 Abs. 2 RTVG hat die Ombudsstelle keine Entscheidungs- oder Weisungsbefugnis.

Beanstandung

„The Purge heute Abend auf 4plus FSK16 um 20.15 ohne Warnhinweise! Die ist ein völlig verstörender Film und hat im Intro brutalste und grausamste Szenen. Also ca 20.20 Uhr. Wieso um 20.15? (Für mich wieso überhaupt?)

Einfach Krank und für Jugendliche verstörend und einfach nachahmend. Viel zu nahe an der Realität!“

Stellungnahme Veranstalter

„3 Plus bedauert, dass Herr X Anstoss an dem auf dem Sender 4+ ausgestrahlten Spielfilm „The Purge“ genommen hat.

Die beanstandete Sendung ist der erste Teil einer Spielfilmreihe, die sich mit der Frage beschäftigt, wie eine Gesellschaft mit sich selbst umgeht, wenn in einer Nacht alles - also wirklich alles - erlaubt ist. Und was ist von einer Gesellschaft zu halten, die sich durch offiziell abgesegnete Gewaltakte selbst zu reinigen versucht?

3 Plus teilt die konkrete Einschätzung von Herrn X die beanstandete Sendung betreffend nur in Teilen. Die Einschätzung beispielsweise, dass der Film „viel zu nahe an der Realität“ sei, ist für viele Zuschauerinnen und Zuschauer wahrscheinlich ein Qualitätsmerkmal der Sendung und vom Regisseur beabsichtigt, ebenso wie die Tatsache, dass es sich um einen „völlig verstörende(n) Film“ handelt.

Die in der beanstandeten Sendung vorhandenen Gewaltszenen dienen keinem Selbstzweck (keine ‚sinnlose‘ Gewalt), sondern sind unverzichtbarer Teil der Handlung.

Die von 3 Plus auf dem Sender 4+ ausgestrahlte Fassung des Spielfilms „The Purge“ ist gegenüber der mit dem Rating „FSK16“ versehenen deutschen Kinofassung um einige Minuten verkürzt. Insofern kann nicht zwingend gefolgert werden, dass die Freigabe der Freiwilligen Selbstkontrolle in Deutschland, auf die Herr X hinweist, auch für die auf 4+ ausgestrahlte Fassung Anwendung finden würde. Darüber hinaus ist die FSK-Freigabe - obschon sie bei der Programmplanung von 3 Plus regelmässig berücksichtigt wird - für Schweizer Programmveranstalter nicht verbindlich.

3 Plus kann die Beanstandung von Herrn X bezüglich der Gewaltszenen durchaus nachvollziehen. Da 3 Plus der Schutz von Kindern und Jugendlichen ein wichtiges Anliegen ist, würde die 3 Plus Gruppe allfällige zukünftige Ausstrahlungen des Films „The Purge“ im Nachtprogramm (das heisst nach 22 Uhr) platzieren bzw. mit dem Hinweis versehen, dass diese Sendung für Kinder und Jugendliche nicht geeignet ist. Diese Anpassungen erfolgen unpräjudiziell und ohne Anerkennung einer Rechtspflicht.“

Einschätzung des Ombudsmanns

Ich habe mir den beanstandeten Film in voller Länge angesehen, ohne den Film zuvor gekannt oder weitere Hintergrundinformationen darüber eingeholt zu haben. Die darin gezeigten Gewaltszenen - und um diese geht es hauptsächlich bei der vorliegenden Beanstandung - sind teilweise heftig und erinnern an einen Horrorfilm. Mit dem Veranstalter gehe ich dahingehend einig, dass die vorhandenen Gewaltszenen keinem Selbstzweck dienen. Ob sie aber wirklich unverzichtbarer Teil der Handlung sind, wie der Veranstalter behauptet, mag ich bezweifeln. Hier handelt es sich aber letztlich um eine Geschmacksfrage.

Der Film erzählt von den Vereinigten Staaten in der Zukunft, in der einmal im Jahr während der ganzen Nacht einige Gesetze ausser Kraft gesetzt sind und legal getötet und gemordet werden darf. Es geht um die Säuberung der Gesellschaft, damit in der übrigen Zeit die Kriminalitätsraten und auch die Arbeitslosenzahlen gering gehalten werden können. Das Kind einer Familie gewährt einem gejagten Unterschlupf im Haus und die Familie wird so selber zu Gejagten, weil die Verfolger des Fremden ihr Opfer zur Strecke bringen wollen. Trotz der Bedrohung entscheidet sich die Familie, den Fremden nicht auszuliefern. Das führt zu zahlreichen Gewaltszenen im Haus.

Diese Gewaltszenen sind teilweise drastisch, wenn auch insgesamt nicht um der Gewalt willen selber inszeniert. Die freiwillige Selbstkontrolle in Deutschland (FSK) hat den Film für Jugendliche ab 16 Jahren freigegeben. Sie geht davon aus, dass die Handlung für junge Zuschauerinnen und Zuschauer als fiktional zu erkennen sei, wobei sie hintergründig einen gesellschaftskritischen Ansatz verfolge. Die Gewaltszenen seien stets durch die Handlung motiviert und nicht spekulativ inszeniert, da der Film das Recht des Stärkeren und die gezeigte soziale Verrohung deutlich infrage stelle. Die moralischen Konflikte seiner Protagonisten würden nachvollziehbar thematisiert und es bestehe für die Altersgruppe um 16-Jährige keine Gefahr einer sozial-ethischen Desorientierung.

Der Einschätzung der FSK kann durchaus gefolgt werden. Umso unverständlicher ist es, weshalb der Veranstalter die Ausstrahlung des Films auf 20:15 Uhr programmierte und jeglichen Warnhinweis auf die im Film enthaltenen Gewaltszenen unterliess. Auch wenn die FSK-Freigaben für schweizerische Veranstalter nicht bindend sind, so ist doch davon auszugehen, dass eine umsichtige Programmplanung die ihr bekannten Hinweise ernst nimmt und bei der Ausstrahlung solcher Sendungen Warnhinweise hinzufügt, respektive den Ausstrahlungszeitpunkt später ansetzt. Immerhin scheint der Veranstalter die falsche zeitliche Ansetzung wie auch das Fehlen der Warnhinweise nach Eingang der vorliegenden Beanstandung ebenfalls bemerkt zu haben, wie der Stellungnahme zu entnehmen ist.

Ich empfehle deshalb dem Veranstalter dringend, die Programmplanung in Bezug auf allenfalls jugendgefährdende Sendungen nicht nur in diesem Fall, sondern auch für künftige Fälle umsichtiger und professioneller zu gestalten. Im vorliegenden Fall erblicke ich eine Verletzung von Art. 5 RTVG, wonach die Programmveranstalter durch die Wahl der Sendezeit oder sonstige Massnahmen dafür zu sorgen haben, dass Minderjährige nicht mit Sendungen konfrontiert werden, welche ihre körperliche, geistige-, seelische, sittliche oder soziale Entwicklung gefährden. Der fehlende Warnhinweis wie auch die nicht umsichtige Platzierung des Films während der Hauptsendezeit stellen meines Erachtens eine Verletzung von Art. 5 RTVG dar.

Ich bitte Sie, das vorliegende Schreiben als meinen Schlussbericht gemäss Art. 93 Abs. 3 RTVG entgegenzunehmen. Über die Möglichkeit der Beschwerde an die unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen UBI orientiert Sie das beigefügte Merkblatt.

Mit freundlichen Grüssen

Dr. Oliver Sidler Ombudsmann